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Mexiko gehört nicht zu Mittelamerika


„Nutella?“
Zum ersten Mal seit einem halben Jahr ist diese braune Nuss-Nougat Streichmasse Gast unserer Frühstückstafel. Wie ein Rudel Wölfe machen wir uns über diese Seltenheit in unserem Haushalt her. Selbst Rouven, der wenig davon hält, wenn man teure Markenprodukte, die eigentlich nicht notwendig sind ins Haus bringt meinte nur: „Naja, wenns dann schon mal da ist…!“ Rouven‘s Vater ist zu Besuch und hat uns mit ein paar Geschenken für das Haus überrascht und darunter befand sich ebenfalls ein Glas Nutella. Eine leckere jedoch nicht langfristige Abwechslung.
Seit einem Monat habe ich ein neues Hobby. Rouven hat mich auf die Idee gebracht und einmal mitgeschleppt. Nun gehe ich dreimal wöchentlich zum Capoeiratraining. Capoeira ist eine brasilianische Kampkunst, welche von afrikanischen Sklaven als Tanz getarnt praktiziert wurde um für den Aufstand gegen ihre Landsherren zu trainieren. Gestern ist auch Hermann, Rouvens Vater in den Genuss gekommen, jedoch eher als passiver Zuschauer. Doch auch ihm schien diese Sportart zu imponieren. Nach den ersten Trainingseinheiten fühlte ich mich eigentlich nur schlapp und hatte sehr starken Muskelkater. Mittlerweile läuft es wirklich gut und die ganzen Bewegungen und Kombinationen verstehe ich langsam.

Hier in der Capoeiragruppe habe ich meinen neuen Gitarrenlehrer kennengelernt. Er heißt Fermin und spielt fast täglich in einer Jazzbar in der nähe des Parks im Zentrum. Er hat im Gegensatz zu Pablo Musik studiert und bringt mir etwas Jazz und Bosanova bei. Ich bin wirklich froh wieder einen Lehrer gefunden zu haben.

Auch im Projekt Sueniños hat die Musik Einklang gefunden. Einmal in der Woche gebe ich einer Gruppe von sieben Kindern Gitarrenunterricht. Die Steigerung ihrer Fingerfertigkeiten an der Gitarre gehen nur sehr langsam voran und reichen noch nicht für einen Jazz Jam, jedoch lernen sie mehr oder weniger geduldig die Akkorde zu Bruder Jakob. Es bleibt ihnen leider nicht viel Zeit zum üben. Auch klimpern die kleineren lieber etwas herum oder singen, während ich spiele. Carlos und Arturo, zwei der älteren Kinder, spielen für Anfänger schon recht gut und sind mit Spaß und Ehrgeiz bei der Sache.

Überhaupt hat sich im Projekt Sueniños sehr viel getan. Neben dem Gitarrenkurs bieten wir Freiwilligen nun eine Theater-, eine Zirkus-, eine Garten-, eine Fußball-AG an. Aus der Überdachung unter dem Projekthaus entstand ein neues Klassenzimmer und hinter dem Haus befindet sich ein großer Reifenhaufen zum spielen. Auf diesen soll noch ein kleines Holzhaus gebaut werden. Der viele Platz zum spielen ist auch dringend nötig. Schon 40 Kinder sind Teil des Projekts und die Anzahl soll noch auf 60 erhöht werden.

Gerade stehe ich in der Projektküche und esse einen Fruchtjoghurt als Junior seinen schmutzigen Teller zur Spüle bringt und sich kurz darauf bei mir für das Essen bedankt. Das ist schon öfters vorgekommen und ich finde es sehr löblich, dass die Kinder sich bedanken, nur ist mir das immer etwas unangenehm, da ich ja gar nicht koche im Projekt. Ich versuche Junior zu erklären, dass Luci das essen zubereitet. Daraufhin bedankt er sich nochmals bei mir für dei Mahlzeit und geht sich die Zähne putzen. Junior nimmt mich gerne auf den arm. Drei Monate hat er mich zum Beispiel Julia, eine Freiwillige aus Österreich, genannt, weil er sich angeblich nicht an meinen Namen erinnerte. Meine Erklärungsversuche bringen Viviana, die Lehrerin bei Sueniños, zum lachen und auch Luci, die sich gerne mal über mich lustig macht, hat ihren Spaß und erzählt amüsiert vom Kerzengießen kurz vor Weihnachten, als mir ein Glas platzte und ich den hart gewordenen Wachs vom Gasherd abkratzen musste. So sorge ich für ein fröhliches Arbeitsklima.

Später ertönt die Glocke, welche das Signal zum zusammenpacken und aufstellen ist, da die zwei Kleinbusse, die die Kinder nach Hause bringen schon vor der Tür warten. Nachdem Viviana die Kinder mit einem Zeichen, dass ich aus der Grundschule kenne zur Ruhe gebracht hat, beginnt Raúl, ebenfalls Lehrer im Projekt, die Anwesenheitsliste durchzugehen. Barbara, ebenfalls eine Freiwillige aus Österreich, verteilt Süßigkeiten, denn heute ist Freitag und Freitags bekommen die Kinder, die die gesamte Woche im Projekt waren eine Kleinigkeit geschenkt.

Heute ist der letzte Tag vor der Semana Santa (Osterferien) und mit Handschlag verabschieden wir uns an Tür von allen Kindern. Für uns Freiwillige heißt das, dass wir sie für den nächsten Monat, also den gesamten April nicht mehr sehen werden. Zwar dauern die Ferien nur zwei Wochen an, jedoch findet mit dem Ende deren Ende das Zwischentreffen aller Freiwilligen der „Weltweiten Initiative für soziales Engagement e.V.“, die in Mittelamerika ihren Dienst leisten. Hier sollen Erfahrungen und Ideen ausgetauscht und die Arbeit reflektiert werden.

An diesem Wochenende kommt Mauricio aus Mexiko Stadt nach San Cristobal zu Besuch und entscheidet sich spontan dafür mit uns Richtung Süden bis zur noch recht unberührten Vulkaninsel Ometepe im Nicaraguasee zu fahren. Dort wird das Zwischentreffen stattfinden.

„Eintritt für Mittelamerikaner drei Dollar. Eintritt für Ausländer 15 Dollar.“

Nun das nenne ich faire Abzocke. Hier weiß man wenigstens wo man dran ist, denke ich mir im Stillen.

Gestern sind wir von San Cristobal los gefahren und haben innerhalb von 20 Stunden ganz Guatemala durchquert und sind gerade in Copan in Honduras am Haupteingang zu den Maya Ruinen Copans, gleich an der guatemaltekischen Grenze.

In Esquipulas in Guatemala konnten wir kurz etwas essen und hatten noch die Möglichkeit uns die Statue des „Cristo Negro“ anzusehen. Eine Darstellung von Jesus am Kreuz, ähnlich jener, die ich aus Deutschland kenne, jedoch ist sie schwarz. Dies war sie aber nicht immer. Spanische Missionare brachten die Christus Statue im 16. Jahrhundert nach Guatemala. Damals hatte sie eine leicht bräunliche Farbe. Man glaubt sie habe eine heilende Wirkung, daher wird sie täglich von kranken Menschen besucht und verehrt. Wenn eine Besserung oder gar eine Heilung stattgefunden hat, schenken sie „Cristo Negro“ ein Bild oder eine Plackete ihres damals kranken Körperteils. Betritt man den Gang, der zur Statue führt, so passiert man Wände bestückt mit kleinen Beinen, Händen, Köpfen etc. aus Bronze.

Als wir die lange Rampe zum Eingang hinaufgingen, bot sich schon von Weiten ein Blick auf den Schrein. Wenig später erkennt man das ca. eineinhalb Meter hohe Kreuz mit dem schwarzen Körper Jesus. Seine Farbe soll er durch den Ruß der vielen Kerzen und durch die Berührungen der Gläubigen erhalten haben. Heute kann man ihn nicht mehr anfassen, da er in einem Glasschrein steht.

Wir entfernten uns von dem Kreuz rückwärts gehend, denn man solle dem „Cristo Negro“ nie den Rücken zukehren. Dies stellte sich als etwas schwierig heraus, da wir die großen Reiserucksäcke auf den Schultern trugen. Leicht hätte man seinen Hintermann umwerfen können.

Nun zurück in Copan stellen wir uns die Frage, ob oder wie wir ohne einen so hohen Eintrittspreis zahlen zu müssen. Mau hatte den Einfall, dass Moritz und ich uns als Chiapanecos sprich Einwohner Chiapas ausgeben. Den Akzent haben wir schließlich schon. Ich war nicht ganz überzeugt von der Idee. Es gibt nur sehr, sehr wenige blonde und blauäugige Chiapanecos und die sind auch meist nicht 1.90m groß.

Wir schicken Mau vor. Er wird uns schon irgendwie als Mexikaner verkaufen. Als er zurückkommt stellt sich, sehr überraschend für ihn heraus, dass die Dame am Schalter uns doch tatsächlich für Mexikaner hält, jedoch Mexiko nicht zu Mittelamerika gehört.
Die Länder Mittelamerikas haben sich zu einem Bund, ähnlich wie die EU, jedoch noch im Anfangsstadium, zusammengeschlossen. Mexiko und Costa Rica aber wollten nicht Teil des Bundes sein. Deshalb müssen auch Mexikaner nun den höheren Preis in Copan zahlen.
Wir zahlen und begeben uns Richtung der Mayaruinen Copans.

Die Maya sind Ureinwohner Mittelamerikas. Heute lebt nur noch ein kleines Volk, die sich als die direkten Nachfahren der Maya bezeichnen. Die Lacandonen. Zu hause im lacandonischen Regenwald im Süden Chiapas an der Grenze zu Guatemala.
Die ursprünglichen Mayas sind die Erbauer gigantischer Städte und Tempel in der Form von Pyramiden, wurden jedoch von den Eroberern im 15. Und 16. Jahrhundert vernichtet und ihre Bauwerke zerstört. Heute sind daher oft nur noch Ruinen der einstmals prächtigen Paläste übrig. Die Maya lebten im vollen Einklang mit der Natur. Das spiegelt sich vor Allem in ihrer Religion wider. Sie glaubten an die Entstehungsgeschichte des Menschen, wie sie im Popol Vuh niedergeschrieben ist.

Nämlich, dass der Mensch aus Maismasse geformt wurde und die Welt von einer Schildkröte auf ihrem Panzer getragen wird. Ihrer Götter sind die Kräfte der Natur und diese verehrten sie mit Tier- und teilweise Menschenopfern. Sie waren ein hoch entwickeltes Volk. Zum Beispiel kannten sie sich schon in der Gewinnung und Verarbeitung von Kautschuk aus und können sich stolz Erfinder des Kaugummis nennen. Dieser wurde in Kräutermischungen getunkt und gekaut.

Ich finde den Gedanken lustig, dass wir mit den Nachfahren der Maya, nämlich mit den idigenen Kindern Chiapas zusammen arbeiten, von denen einige Jungs den Handel mit Kaugummi zu ihrem Geschäft gemacht haben.

Unsere Reise durch Mittelamerika führt uns an der Karibikküste Honduras, Richtung Süden über die Hauptstadt Tegusigalpa nach Nicaragua. Dort von Leon aus an den Atlantik und zurück bis zum Nicaraguasee auf die Insel Ometepe mit ihren zwei gigantischen Vulkanen davon einer, der Concepción, eingehüllt in eine graue Wolke.
Hier werden wir nach acht Monaten alle anderen Freiwilligen in Mittelamerika wieder treffen.
Ich freue mich.
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Hier die Mitteilung von Christian Szinicz:

Lieber Herr Johannes Reetz,

wir möchten uns bei Ihnen im Namen von allen Kindern bei Sueniños und auch unserem Team sehr herzlich für die Spende der Pfarre Heilig-Kreuz in Köln Weidenpesch bedanken.

Mit dieser Spende konnten die Kinder gemeinsam mit unseren Freiwilligen einen Basketballkorb basteln, der nun auch bei jeder Gelegenheit zum Einsatz kommt.

Ein besonderes Erlebnis war der Ausflug nach Toniná, einer antiken Mayastätte. Nicht nur die Busfahrt war für die Kinder ein besonderer Spaß, sondern auch das Erkunden der alten Ruinen und das Besteigen der einstigen Sternwarte ihrer Vorfahren.

Das Bewusstsein dieser Kinder für ihre Wurzeln und ihre Identität zu stärken, ist eine wesentliche Herausforderung bei unserer Arbeit. Wir bedanken uns vielmals für Ihre Unterstützung!

Mit freundlichen Grüßen aus San Cristóbal,

Christian Szinicz
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