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Neues aus Mexico

„Na komm schon, mach doch. Ich glaube das käme richtig gut an.“
„Kann ja sein, aber das Programm ist schon so voll. Es zieht sich zu sehr in die Länge. Und so spannend sind deutsche Weihnachtslieder auch. Sieh lieber mal zu, dass eure Zaubernummer hinhaut!“

Rouven versucht mich zu einer kleinen Gesangseinlage bei der Weihnachtsfeier von „Melel Xojobal“ zu überreden. Natürlich es wäre ganz nett, aber so sicher fühle ich mich nun auch nicht vor Publikum. Schließlich erwartet man nahezu 300 Gäste.

„Ach Sebi, mach doch! Hier, du mit deiner schönen neuen Gitarre vor allen Kindern und deren Eltern. Das wär‘s doch.“

Er schafft es nicht mich zu beschwatzen. Mit meiner schönen neuen Gitarre übe ich lieber noch etwas für mich. Mitte November machte ich mich mit Pablo auf die Suche nach einem neuen Instrument für mich. Bisweilen hatte ich Moritz‘ Gitarre für den Unterricht benutzt, jedoch war nun die Zeit für eine eigene gekommen. Schon in Deutschland gefiel mir die Idee eine mexikanische Gitarre als Andenken mit nach hause zu nehmen und außerdem war es mir unangenehm stets Moritz‘ zu besetzen bzw. durch meine Rumba-Übungen diese kleinen Dellen im Holz zu verursachen. Die neue Gitarre ist eine „Très Pinos“ (Drei Tannenbäume), klingt gut und ist formschön. Es macht sehr viel Spaß sie zu spielen. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar für dieses Geschenk. Leider habe ich später erfahren, dass sie gar nicht so mexikanisch ist, wie sie scheint. Ein Importprodukt, hergestellt für ein Musikhaus in Mexiko Stadt. Erst war ich ein bisschen enttäuscht, doch später ist mir klar geworden, dass es bei einem Instrument nicht um seine Nationalität, sondern um andere Attribute geht. Unprofessionell könnte man sagen.
Pablo ist mittlerweile abgereist. Ich hoffe es geht ihm gut in Spanien. Er hat mir versprochen mich weiterhin via Email zu unterrichten. Ich jedoch glaube nicht, dass er dazu die Zeit finden wird.

Als ich am 16. Dezember aufwache strahlt Sonnenlicht durch den kleine Glasbaustein, in der Decke meines Zimmers. Der Himmel ist blau und der Duft von frischen Kaffee liebkost meine Nase. Es ist sieben Uhr und als ich verschlafen in die Küche taumle sehe ich Annelie mit ihrer Tasse und Reiseführer von Kuba schon im Esszimmer sitzen. Der Tisch ist gedeckt und es gibt frisches, selbstgebackenes Brot.

Annelie ist die Mutter von Moritz und ist zu Besuch da. Sie bleibt ca. eine Woche in San Cristobal und danach machen Moritz und ich mit ihr zwei Wochen auf  Kuba Urlaub. Ich bin schon sehr gespannt, einerseits auf Kuba, andererseits auf die Zeit mit ihr und ihrem Sohn. Ich denke aber, dass es keine Ungereimtheiten zwischen uns geben wird. Zumal ich sie ja schon aus Köln kenne.
„Sach hörens, wat is dat denn für ne Lärm morjens um sechs bei euch in der Colonia? Nichts ahnend liege ich im Bett und dann kommt da plötzlich einer mit so einer Glocke an meinem Fenster vorbei gelaufen. Ich dachte echt da steht jetzt ne Kuh vorm Haus.“

„Oh, bist du schon lange wach? Das war die Müllabfuhr. Die sagen nur Bescheid, dass sie da sind und man den Müll rausbringen kann. Aber warte noch, so gegen acht kommt der Wassermann und der bleibt für ne halbe Stunde hier vorne auf dem Parkplatz stehen. Ist auch eigentlich gut, wäre da nicht diese Werbemusik, die er immer und immer wieder abspielt. Naja, das bekommst du gleich mit. Hat so was von nem Handyklingelton.“

Trotz der kleine Schlafstörung scheint ihr San Cristobal sehr zu gefallen. Wir geben auch unser Bestes um den Aufenthalt so interessant wie möglich zu gestalten. Vor zwei Tagen besuchten wir mit ihr die Comunidad San Juan Chamula. Hier lebt nur idigene Bevölkerung. Mestizen und Touristen sind nicht gern gesehen, jedoch zu Genüge vorhanden. Es ist ein Dorf mit seinem eigenen Zauber. Versucht man diesen mit der Kamera einzufangen, kann es passieren, dass man mit einem blauen Auge zurückfährt. Das ganze Leben spielt sich tagsüber auf dem Marktplatz und in der kleinen Kirche ab, das Zentrum des Dorfes. Hier findet man Souvenirs, Haushaltsgegenstände, Obst, Gemüse, mexikanische Spezialitäten und Raubkopien von Musik und Filmen. Ich habe mich nicht sehr wohl gefühlt, als wir über den Markt spazierten. Es war nicht so, dass mich die Menschen gestört hätten, vielmehr kam ich mir selber als Störfaktor vor. Ich hatte in diesem Dorf einfach nichts zu suchen. Diese Gefühl wurde um so stärker, als wir die Kirche betraten. Ein mystischer Ort. Die Bewohner von Chamula stammen von den Mayas ab und gehen noch heute ihren alten Traditionen und Bräuche nach. Sie verehren viele Götter, die sie in verschiedenen Lebenslagen beschützen sollen. Das seltsame ist, dass als die spanischen Konquistadoren versucht habe den christlichen Glauben einzuführen, jedoch sie das nur zu Hälfte geschafft haben. Man verehrt nämlich nun christliche Heilige, hat diese aber nur gegen die einstigen Mayagötter ausgetauscht. Auch die Kreuze, die man auf dem Vorplatz sieht, sind keine Symbole für die Leiden Christus, sonder stehen für den Weltenbaum der Maya, den „wacah chan“ und werden zur Vererhrung der Götter an besonderen Festtagen aufgestellt. Wenn man sich nun in der Kirche befindet, glaubt man in einem Meer aus Kerzen zu schwimmen und der Geruch von Fichtennadeln liegt in der Luft. Auf dem Boden knien Frauen und Männer, die Hähne und Hühner opfern und in einem tranceartigen Zustand mit Gebeten und monotonen Gesängen ihren Götter huldigen. Fester Bestandteil dieses Rituals ist der sogenannte „Posh“. Ein harter Alkohol gewonnen aus Zuckerrohr, welcher während der Gebete getrunken und vor sich über die Kerzen getröpfelt wird.

Während ich durch den Raum ging, fielen mir die Coca-Cola Flaschen auf, welche neben den Betenden auf dem Boden standen. Schon am Eingang war ich sehr verwündert gewesen über die mir bekannten gelben Coca-Cola Kästen. Moritz erklärt mir, dass der Einfluss von Coca-Cola in „Chamula“ besonders stark ist, dass das Getränk sogar schon Einlass in die Zeremonien gefunden hat und den Posh Schritt für Schritt ablöst. Auβerdem solle der CocaCola Kunsum höher sein, als der von Wasser, was erhebliche gesundheitlich Schäden, vor Allem bei den Kindern des Dorfes, zur Folge hat.

Bei dem Anblick eines gerade geköpften Hahn wurde mir etwas übel und ich verlies vorzeitig den mir nicht ganz geheuren Ort.

Heute findet die Weihnachtsfeier von Melel Xojobal statt. Schon Wochen zuvor begannen wir im Projekt mit den Vorbereitungen. Es ist wichtig, dass alles reibungslos abläuft. Vor Allem musste das Showprogramm stehen. Diesen Morgen durften Annelie und ich Zuschauer bei der Generalprobe der Clown und Zaubershow von Moritz und Rouven sein. Wir waren positiv überrascht. Würden bei der Vorführung vor den Kindern alle Tricks funktionieren, dann wird es eine gute Nummer. Wir haben aber keine großen Bedenken. Schon allein die Kostüme werden das Publikum überzeugen.

Nach dem Frühstück fahren wir mit dem Colectivo ins Stadtzentrum, um dort die anderen Mitarbeiter und einige Kinder zu treffen. Wir wollen alle gemeinsam mit Kleinbussen zum „Centro De La Convivencia Infantil“, eine Art Spielplatz im großen Stil, fahren. Dort wird die Feier stattfinden.

Von weitem sieht man schon die vielen roten T-shirts vor der Kathedrale warten. Auch ein paar Kinder sind schon da. Kurz besprechen wir den Ablauf des Transportes und sitzen gleich danach auf der Ladefläche des roten Melel Pickups. Die Straße, die weg vom Kirchplatz führt fällt etwas ab. Das Zentrum liegt ein wenig höher, als die Außenbezirke der Stadt. Auf dem Weg passieren wir zwei ganz in weis gekleidete Damen mit kurzen Tops und hochhackigen Schuhen. Laute Popmusik ertönt. Sie halten uns Flugblätter mit Werbung für Autos hin und ich nehme eins an. Emiliano hält sich die Hand vor den Mund und beginnt zu kichern.
„Lola hat gesagt das ist deine Freundin.“

Ein Spiel, das die Kinder unglaublich gerne mit uns spielen. Sobald man mit einer weiblichen Person redet oder sie nur grüßt, ist sie für die Kinder gleich die Freundin. An Sätze wie: „Schau mal, da kommt deine Freundin!“, oder: „Wann heiratet ihr?“, habe ich mich schon längst gewöhnt. Nur bringen die Kinder ab und an die Damen damit in Verlegenheit, denn sie sind wirklich sehr direkt. An der Kreuzung zur Landstraße, die nach Chamula führt, biegen wir links ab. Auf dem Parkplatz der „Convivencia Infantil“ parken die vielen Kleinbusse und am Eingang erwartet uns Jenny, die uns begrüßt und jedem ein Lunchpaket gibt. Auf dem Gelände bietet sich mir ein beeindruckendes Bild. Die 300 erwarteten Gäste scheinen tatsächlich anwesend zu sein und immer noch bringen die Busse neue zur Feier. Ich wusste nicht, dass Melel mit so vielen Menschen zusammen arbeitet. Sie alle an einem Ort anzutreffen hatte ich nicht erwartet und schon gar nicht, dass es so viele sind.

Das Fußballspiel hat schon begonnen und die Kinderspiele, wie Sackhüpfen und Dreibeinlaufen auch. Das Wetter ist toll.

Als der erste Programmpunkt beginnt, ziehen Moritz und Rouven sich um und geben ihrer Präsentation den letzten Schliff.
Vor ihnen tritt ein Clown der „Clowns ohne Grenzen“ auf. Eine tolle Show. Besonders gut hat mir der Trick mit einem unsichtbaren Ball und einer Papiertüte gefallen. Ich glaube das wird schwer zu überbieten. Als Rouven und Moritz die Bühne betreten raunt ein Lachen durch die Zuschauerreihen. Auch kann mir das grinsen nicht verkneifen. Die Kostüme sehen einfach zu herrlich aus. Rouven legt ein kleines Kunststück mit verformbaren Luftballons hin und daraufhin setzt Moritz die Nadel ein. Der Luftballon zerplatzt nicht. Die erste Nummer ist geglückt. Auch die restlichen Einlagen kommen mal gut mal weniger gut an. Gegen Ende werden die Kinder etwas unruhig, aber es scheint allen gefallen zu haben. Alle reden den Rest des Tages noch über die Zaubertricks.
Zum Abschluss der Feier findet die Verlosung statt. Alle können Spielzeug und Kleidung gewinnen.
Als sich der Himmel langsam mit Wolken zuzieht, ist das Ende des Fest schon da. Die meisten sind schon in die Busse gestiegen und auf dem Weg zurück ins Zentrum. Der Rest ist noch damit beschäftigt, dass Gelände sauber zu verlassen. Ich verabschiede mich von allen, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich sie vor unserer Abreise nach Kuba noch einmal sehen werde.
Auf dem Weg nach hause habe ich die Bilder der Weihnachtsfeier noch vor Augen und denke mir: „Das war ein schöner Abschluss für das Jahr 2006!“

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