Angekommen

Wir folgen Ruben zum Zivihaus vorbei an Straßenhändlern, einem Autohaus, einer Apotheke, einem Schlachter, in Richtung Krankenhaus, während Clemens mit dem Gepäck im Taxi fährt. Wir gehen ungefähr ein viertel Stunde und nutzen die Zeit um Ruben mit Fragen unsererseits zu löchern. Vermutlich kann er mit unserer utopisch wirkenden Motivation wenig anfangen, beantwortet dennoch ausführlich unsere Fragen.
Ruben ist halb Deutscher, halb Italiener und erfüllt, betrachtet man nur seine Größe, das italienische Klischee. Er hat lange schwarze Haare und ist vollbärtig. Gerade zündet er sich eine Zigarette an. Rauchen bereitete mir, wegen der dünnen Luft, noch Schwierigkeiten. Ihm ist es jedoch wegen der niedrigen Zigarettenpreise kaum zu verübeln. Am Krankenhaus überqueren wir die Straße und biegen links in eine Wohnsiedlung ein. Ein Torbogen ziert den Eingang und mit fast verblasster und teilweise abbröckelnder Schrift präsentiert er uns den Namen der Wohnsiedlung. Colonia Ciudad Real. Ich muss an Köln denken.
Am Ende der Straße wartet Clemens schon mit dem Gepäck auf uns. Stolz führen die beiden uns durch das Haus. Stolz vor allem auf ihre Heimwerkerfähigkeiten. Mein erster Eindruck ist eher schlecht. Wie auch soll ich mich in einem in Gelb- und Brauntönen gestrichenem, Kakerlaken verseuchten und unsinnig geschnittenem Haus wohl fühlen? Natürlich behalte ich diesen Gedanken für, jedoch scheint es als könne Clemens meinen Gesichtsausdruck richtig interpretieren.
„Man gewöhnt sich an alles!“
Dabei grinst er und bittet uns auf die Dachterrasse.
Clemens ist schlank und groß. Er hat blonde Haare und blaue Augen. Sein Gesicht ist von der Sonne gebräunt. Er wirkt anziehend auf Mexikanerinnen und ich glaube, er weiß das. Jedoch bezeichnete man ihn als Macho, würde man ihm Unrecht tun. Ruben und er beherrschen die spanische Sprache fließend. Ich nehme mir fest vor die Sprache sobald wie möglich sprechen zu können und freue mich auf den noch anstehenden Sprachkurs.
Wir steigen über die Holzeiter auf das Betondach. An diesen Aufstieg muss ich mich noch gewöhnen. Es gibt kein Geländer und ich habe Angst herunterzufallen.
„Von hier aus könnt ihr über ganz San Cristobal sehen und das hier, das ist der Wassertank.“
Der Ausblick ist einmalig. Um uns herum wieder das Meer aus bunten Häusern, welches am Rande der Stadt sogar die uns umgebenden Berge erklimmt.
Ich habe Hunger. Rouven und Moritz verspüren ebenfalls eine gewisse Leere im Magen. Clemens und Ruben führen uns in ein Restaurant nicht weit vom Haus entfernt. Auf dem Weg werden wir dem Ortsvorsteher Angel vorgestellt. Er besitzt einen Handwerkerladen gleich um die Ecke. Er interessiert sich für Fussball und möchte auch unsere Künste austesten. Ich bin froh, dass er uns nicht sofort zu einer Partie auffordert. Ich bin müde und mein Magen knurrt.
Im Restaurant esse ich das gleiche wie Moritz und Rouven, nur mit Fleisch. Es gibt Bohnenmus, Reis und Tortias Meine Augen tränen, meine Nase läuft und mein Mund brennt. Das Essen ist sehr scharf, wie ich finde. Ruben amüsiert sich darüber und garniert sein Gericht mit zwei weiteren Spritzern der grünen Chillisauce. Wieder grinst Clemens.
„Man gewöhnt sich an alles!“
An die mexikanische Küche werde ich mich wirklich noch gewöhnen müssen. Es schmeckt gut und der Reiß lindert die Schmerzen.
Eine Stunde später kommen wir doch noch dazu Fussball zuspielen. Jeden Freitag um 12 Uhr treffen sich die Leiter und Kinder von Melel Xojobal, eines der beiden Sozial Projekten, am Sportplatz und spielen Basket- und Fussball. Ich weiß nicht, ob eines der Kinder, die wir am Busbahnhof getroffen haben, auch mitspielt. Es fällt mir schwer sie auseinander zuhalten. Für mich sehen sie alle gleich aus. Mit ihnen zu spielen macht sehr viel Spaß. Sie sind sehr anhänglich und stürmen sintflutartig mit spanischen Wörtern auf uns ein. Ich fühle mich nicht mehr müde und bin froh über die Energie, welche die Kinder scheinbar übertragen. Meine Motivation ist am Maximum und ich erwarte ungeduldig meinen ersten Arbeitstag.
Auf dem Heimweg gehe ich noch einmal die Namen der Kinder durch. Ich kann mich an keinen erinnern.
Clemens erklärt mir wie der Wasserboiler funktioniert und ich nutze die Gelegenheit, um eine Dusche zu nehmen. Es tut gut nach der 12stündigen Busreise den Schweiß vom Körper abzuwaschen. Das Wasser ist angenehm warm.

Ich liege in einem kahlen und hohen Raum. Die Stimmen im Nachbarzimmer haben mich geweckt. Es ist Samstagmorgen und ich fühle mich ausgeschlafen, doch spüre ich meinen rechten Arm nicht. Er schläft noch. Der gestrige Tag endete mit einem Begrüßungstrank in einer Musikbar im Stadtzentrum von San Cristobal. El Circo.
Noch einmal reflektiere ich den gestrigen Tag. Der Weg nach hause, das Essen, das Haus, das Fussballspiel. Ich bin angekommen und hier werde ich bleiben.

Ruben erzählt von seiner und Clemens Ankunft. Ich bewundere das, was sie geleistet haben. Die beiden lebten für einen Monat in Guadalajara, um dort ihren Sprachkurs zu machen und eine Woche in einem Waisenhaus zu arbeiten. Mitte September 2005 reisten sie nach San Cristobal, ca 15 Stunden Busfahrt, und leisteten Pionierarbeit für ihren Einsatz und den der folgenden Zivildienstleistenden. Es muss ihnen ähnlich wie uns gegangen sein, als sie mit ihrem Gepäck am Busterminal an der berühmten Panamericana standen und warteten. Nur gab es danals keine winkenden Personen, die sich ihnen näherten und sie unter ihre Fittiche nahmen. Vermutlich war ihr erster Kontakt ein Taxifahrer, der wild hupend auf sich aufmerksam machte, um sie als Fahrgäste zu gewinnen.
Es muss schwierig sein sich in einer unbekannten Stadt alleine zurechtzufinden ohne Bleibe und Ahnung. Während der Wohnungssuche haben sie in einem Hostel gewohnt und stießen nach ca zwei Wochen auf das Haus in der Colonia Ciudad Real.
An die gelbe und braune Farbe habe ich mich jetzt schon gewöhnt. Kakerlaken sind mir nicht mehr begegnet. Das Haus ist eigentlich gar nicht schlecht. Es ist sympathisch. Auf den zweiten Blick ein richtiges Zivihaus. Ich kann meine gestrige Reaktion nicht mehr nachvollziehen. Es ist mir peinlich. Es gibt Frühstück.