Doch zunächst befinde ich mich auf dem Landeanflug nach Paris. Die Ankunft verläuft zunächst problemlos. Kein Applaus für den Piloten, ein Lächeln der netten Stewardess und schon stehe ich im Gang zur Abflugshalle des Pariser Flughafens und dort eine ganze Weile. Ich werde mit dem ersten Problem konfrontiert, welches in einem fremden Land auftauchen kann: Die Sprache! Offensichtlich ist, dass ich in einem engen Gang mit 50 weiteren Flugpassagieren zurückgehalten werde und langsam anfange zu schwitzen. Jedoch nicht offensichtlich ist es, warum ich dies tue und bevor ich versuche es mit gebrochenem Französisch, Händen und Füßen herauszufinden, bin ich ein braver Deutscher, warte und spekuliere.
Ein lauter Knall reißt mich aus meinen Gedanken und Angstschweiß löst die Hitzequal ab. Eine vermeidliche Kofferbombe wurde dem Erdboden gleich gemacht und schnell hebt sich der Verdacht auf, man könnte Opfer eines terroristischen Anschlags sein.
Nach dem erneuten Einschecken warte ich auf meinen Anschlussflug nach Mexiko Stadt und trinke währenddessen für vier Euro einen Kaffee. Es bleibt mir viel Zeit über das nachzudenken was auf mich zu kommen wird und das was ich zurücklasse. Ich verliere mich in meinem Abschiedsbuch, welches Wünsche und Grüsse an mich beinhaltet, und muss an meine Freunde in Köln denken, von denen ich einige, die besten, noch vor ein paar Stunden am Düsseldorfer Flughafen sehen konnte. Sie haben mich überrascht und teilweise die Schule geschwänzt, nur um mich zu verabschieden. Vielleicht konnten sie meine Mutter davon überzeugen mit der Rückfahrt nicht noch zu warten, bis mein Flugzeug abhebt, wie sie es bei der Abreise meines kleinen Bruders tat (Kuss an Mama).
In einer halben Stunde öffnet der Schalter zum Einsteigen in den Flieger nach Mittelamerika, Moritz hält mir eine Moralpredigt über den sehr überteuerten Kaffee und darüber, dass ich nicht so verschwenderisch mit meinen letzten Euros umgehen solle, ich könnte sie auf dem Rückweg benötigen. Rouven hat es sich schon vor 2 Stunden auf dem Boden gemütlich gemacht und schläft. Noch verstehen wir uns alle gut. Moritz und Rouven sind meine beiden Mitzivis, welche sich ebenso wie ich dafür entschieden haben ihren Zivildienst im Ausland zu machen.
Moritz ist 19 Jahre alt und ca. einen Kopf kleiner als ich. Seine Haare sind blond und unter ihnen befindet sich ein Hochleistungsrechner, was bedeutet, dass er insbesondere im Bezug auf die neue Sprache, Spanisch, der erste unter uns sein wird, der sie fließend beherrscht.
Rouven ist 20 Jahre alt und derjenige von uns mit einer Ausbildung zum Handwerker, was aber nicht bedeutet, dass er nur der Mann fürs grobe ist. Vielmehr interessiert er sich für das kulturelle und zwischenmenschliche, für Jonglage und die Malerei. Sein Erscheinungsbild ist eher alternativ, was ihn zum Individuum und speziell macht. Ich glaube es wird interessant mit ihm.
Moritz und ich kennen uns schon seit acht Jahren und sind gute Freunde, was gewiss eine gute Grundlage für ein gemeinsames WG-Leben ist. Ich hoffe Rouven wird es nicht all zu schwer haben Teil unseres bestehenden Teams zu werden. Schließlich findet er zumindest in Moritz einen Kameraden im ewigen Kampf gegen meinen Fleischgenuss. Beide sind nämlich Vegetarier.
Der Flug von Paris nach Mexiko Stadt dauert ungefähr 11 Stunden. Ich merke wie meine Lippen und meine Nasenschleimhaut langsam austrocknen. Durch die Klimaanlage wird das Atmen unangenehm. Ich fliege nicht gerne.
In Mexiko Stadt erwartet uns Nicolas, ebenfalls ein Zivildienstleistender, welcher jedoch schon seit einigen Monaten in Mexiko lebt um seine Diplomarbeit zu schreiben. Der Zoll lässt mich passieren, trotz der Schokolade in meinem Koffer. Uns steht eine vierstündige Busfahrt von Mexiko Stadt nach Puebla bevor. Es ist mittlerweile Nacht und es fallen dicken Regentropfen vom Himmel. Die Seitenscheiben des Luxusbusses sind beschlagen. Ich kann nur undeutliche Bilder von der Stadt einfangen und langsam überkommt mich die Müdigkeit. Nach einer Nacht in der WG von Nikolas in Chulula, einer Kleinstadt 30 Minuten von Puebla entfernt, bietet sich uns ein Naturbild, wie es schöner nicht sein kann. Die Stadt ist umgeben von Bergen. Die Luft ist dünner als gewohnt. Die Stadt breitet sich auf einem in ca. 2000 Meter über dem Meeresspiegel liegendem Plateau aus. Ich wunder mich über die Wolken, welche sich in den Gipfeln der Berge fangen. Nikolas erklärt uns, dass die Berge Vulkane seien und präsentiert uns stolz den Popocatepetl.
Später am Tag besteigen wir eine alte Maya Pyramide auf der nun eine katholische Kirche steht. Der Blick über die Stadt ist ungewohnt und doch schön. Ein buntes Meer aus grell leuchtenden und farbenfroh bemalten Häusern eingepfercht in ein rechtwinkelig verlaufendes Straßennetz schmeichelt unsere Augen. Ich versuche die Bilder mit meiner Kamera einzufangen und bemerke gleichzeitig, dass ich vergessen habe das Datenübertragungskabel der Digitalkamera in meinen Koffer zu packen. Es liegt noch in der Schublade des kleinen weißen Tisches im Wohnzimmer in Köln.
Es wird früh dunkel und wir bereiten das Abendessen vor. Es gibt Nopales, ein Gemüse aus den Ablegern einer Kaktuspflanze. Sie schmeckt säuerlich und ein klebriger Schleim dringt aus ihren Poren, wenn man sie in der Pfanne brät. Gewöhnungsbedürftig.
Wir verabschieden uns von Nikolas und gegen 23Uhr steigen wir in den Bus, der uns zu unserem Endziel und neuen Wohnort San Cristobal de las Casas im Bundesstaat Chiapas bringen soll.
Die Nacht legt wieder einen Schleier über die Umgebung und es lässt sich nur erahnen was sich draußen vor dem Busfenster abspielt. Ich schlafe ein.
Als dumpfes Licht durch den Vorhang fällt wache ich auf. Es ist ca. sechs Uhr morgens und die Sonne geht gerade auf. Die vielen Pflanzen und Bäume werfen lange Schatten und die Sonne spiegelt sich in den hin und wieder vorbeiziehenden Seen und Tümpeln. Es ist schwierig ein Foto von der Landschaft zu schießen. Noch ist es zu dunkel. Wenig später aber erheben sich majestätisch nur ein paar Kilometer von uns entfernt dunkelgrüne Bergketten, Hänge und Steilwände. Flamingos sonnen sich auf einer nur wenige Zentimeter aus dem Wasser ragenden Sandbank. Es ist laut. Zwitschernd begrüßen die Vögel den Morgen.
Moritz und ich genießen den Ausblick während Rouven schläft. Ich wecke ihn auf. Verschlafen und sehr verwirrt betrachtet er das an ihm vorüberfliegende Naturbild und gibt Laute von sich, die wohl sein Erstaunen ausdrücken sollen. Dabei versucht er wach und klar zu wirken, was jedoch in einem komödiantischen Schauspiel endet.
Nach einem Zwischenstopp in Tuxtla gewinnen wir langsam an Höhe. San Cristobal liegt genau in einem großen Tal umrandet von Bergen, welche es nun zu überwinden gilt. Langsam schraubt sich der Bus die Passstrasse hinauf. Ein gewagtes Überholmanöver auf der Serpentinenstrecke jagt das andere. Ich wechsle gerade die Batterien meines Mp3-Spielers als mir Moritz den Ellbogen in die Seite drückt und meinen Blick auf die Wolkengebilde rechts lenkt, welche sich nun unterhalb von uns befinden. Ich reiße Rouven erneut aus seinen Träumen, doch verzeiht er mir die wiederholte Störung und ist ebenso fasziniert wie ich. Man glaubt, man befinde sich auf einer Insel in den Wolken. Es ist schön.
Nachdem wir unser Gepäck geholt haben, stehen wir auf einem kleinen Vorplatz der Busstation von San Cristobal und werden umringt von Kinder, die uns Armbänder und Gürtel verkaufen wollen und anbieten uns die Schuhe zu putzen. Dankend lehnen wir ab und sehen von weitem zwei winkende Gestalten auf uns zukommen.