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Als Beispiel mag die Debatte über die Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise dienen, die oftmals sehr verkürzt geführt wird. Deutschland hat politisch und gesellschaftlich in hohem Maß von der europäischen Integration profitiert und auch aus der Einführung der Gemeinschaftswährung Nutzen gezogen. Für uns ist deshalb Solidarität eine Selbstverständlichkeit. Dabei kann Solidarität aber nicht auf finanzielle Transfers reduziert werden. Sie muss immer auch eine Hilfe sein, das eigene Schicksal verantwortlich selbst in die Hand zu nehmen. Wir betonen nachdrücklich, dass die europäische Integration als Friedens- und Einigungsprojekt einen Wert an sich darstellt, der nicht leichtfertig verspielt werden darf. Die Politik steht bei der Bewältigung der Krise immer in der Verantwortung, die Folgen des politischen Handelns für den Zusammenhalt Europas zu bedenken. Vergessen wir nicht: Gerade Christen haben die Einigung Europas vorangetrieben. |
Die europäische Staatsschuldenkrise hat die hohe Verschuldung auch der Bundesrepublik neu in den Blick gerückt. Immer wieder haben auch wir deutschen Bischöfe vor einer zu starken Staatsverschuldung gewarnt, weil diese die Handlungsfähigkeit des Staates einschränkt und die nachfolgenden Generationen in Mithaftung für unser heutiges Handeln nimmt. Sie gefähr-det sowohl die soziale Gerechtigkeit als auch die Generationengerechtigkeit. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, auch weiterhin eine nachhaltige Haushaltspolitik und eine Konso-lidierung der Staatsfinanzen anzumahnen. |
Deutschland hat in den vergangenen Jahren einen erfreulichen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Diese Entwicklung ist verbunden mit einem eindrucksvollen Abbau der Arbeitslosigkeit. Es ist jedoch ein Gebot der Gerechtigkeit, auch denjenigen Chancen zum gesellschaftlichen Ein- und Aufstieg zu eröffnen, die derzeit noch vom Erwerbsleben und von gesell-schaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind oder die in prekären Arbeitsverhältnissen verharren. Die Worte und das Handeln Papst Franziskus‘ mahnen uns, an die Ränder der Gesellschaft zu schauen: Keiner darf abgeschrieben werden. Keiner ist überflüssig, wie Papst Benedikt XVI. gesagt hat. |
Mit seinem Besuch auf der Insel Lampedusa hat Papst Franziskus die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der Flüchtlinge gelenkt, die den Weg nach Europa suchen. Die Lage in einigen südlichen Ländern Europas, in denen die Flüchtlinge zunächst anlanden, ruft nach einer fairen Lastenverteilung in der Europäischen Union. Wie wir uns der Herausforderung durch die Flüchtlinge stellen, wird zu einem Test unserer Mitmenschlichkeit. Insgesamt darf uns die europäische Krise nicht dazu verleiten, die globalen Probleme zu vernachlässigen. Die drängenden Herausforderungen unserer globalisierten Welt verlangen ein erneuertes und vertieftes Engagement. Hunger- und Armutsbekämpfung müssen deshalb auf der Tagesordnung der deutschen Politik bleiben. Nach wie vor sollten wir am Erreichen der sogenannten Milleniumsziele festhalten, die von fast allen Völkern der Welt akzeptiert wurden. In diesen Zielen geht es unter anderem um Bekämpfung der Armut. Denn immer noch leidet eine Milliarde Menschen auf der südlichen Halbkugel unserer Erde unter extremer Armut. Ihre Perspektivlosigkeit ist nicht selten auch Quelle von Unfrieden und Gewalt. Im Sinne der Nachhaltigkeit muss die Hunger- und Armutsbekämpfung zudem mit Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Bewahrung der Schöpfung verbunden werden. |
Mit der Energiewende hat Deutschland einen umfassenden Prozess eingeleitet, um die Energieversorgung unserer Industrienation nachhaltig zu gestalten. Damit hat Deutschland eine Vorreiterrolle eingenommen. Gerade deshalb sind wir herausgefordert, diesen Prozess erfolg-reich fortzuführen. Dies ist nicht nur eine technische Frage, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der viele Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen. Vordergründig sind die ökologischen Folgen von Energieerzeugung und –verbrauch zu bewältigen. Zur Nachhaltigkeit des Prozesses gehört aber auch, dass die sozialen Folgen der Energie-wende bedacht werden. Durch steigende Energiepreise dürfen keine neuen sozialen Unge-rechtigkeiten entstehen. Auch hier gilt das Prinzip der Solidarität. |
Als positives Signal nehmen wir wahr, dass die Familienpolitik wieder stärker in den Mittel-punkt der politischen Debatte gerückt ist. Ehe und Familie bedürfen der besonderen Anerkennung und der Unterstützung. Die Politik muss Rahmenbedingungen für Familien schaffen, damit sie ihr Familienleben möglichst weitgehend nach eigenen Vorstellungen und orientiert an den Bedürfnissen ihrer Kinder gestalten können. Mit Sorge beobachten wir politische Be-strebungen, den Ehebegriff auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften auszuweiten. Seit jeher gilt die Ehe als Verbindung von Mann und Frau, die prinzipiell offen ist für Nachkom-men. An diesem Verständnis sollte festgehalten werden. Unsere Gesellschaft braucht für ihre Zukunftsfähigkeit Ehepaare und Familien, die das Zusammenleben tragen und bereit sind, Leben weiterzugeben. Das Grundgesetz stellt sie unter einen besonderen Schutz, der Beachtung verlangt. |
Der Umgang mit dem menschlichen Leben ist ausschlaggebend für die Qualität einer Gesell-schaft. Mit Besorgnis nehmen wir wahr, dass sich Tendenzen verstärken, menschliches Leben an seinem Anfang und seinem Ende als verfügbar zu behandeln. Die Selbsttötung eines un-heilbar kranken Menschen und die Beihilfe dazu gelten vielen Menschen als Ausdruck freier Selbstbestimmung. Als Christen wissen wir aber: Das Leben ist eine kostbare Gabe Gottes, die es unbedingt zu schützen gilt. Jedem Menschen kommt unabhängig von seiner Leistungs-fähigkeit eine unantastbare Würde zu. Es ist daher Aufgabe der Politik, sich beständig für den Schutz der Würde auch des ungeborenen, kranken, behinderten und alten Lebens einzusetzen. |
In den letzten Jahren werden die Rolle und die Stellung der Religion in Gesellschaft und Staat stärker auch politisch diskutiert. Dabei stoßen zunehmend auch bewährte Formen der Bezie-hungen von Staat und Kirche auf Kritik. Einerseits werden die Kirchen gerne als sozial för-derlich angesehen; andererseits fühlt man sich vom Glauben eher belästigt. Wir wenden uns gegen ein verkürztes Verständnis von Religionsfreiheit, das dem Glauben nur einen Raum in der Kirche zuweist. Der christliche Glaube erfordert zwar eine individuelle Entscheidung, ist aber keine reine Privatangelegenheit. |
Liebe Schwestern und Brüder, eine nachhaltige Politik braucht verantwortungsvolle Politiker. Kandidatinnen und Kandidaten für den Deutschen Bundestag sollen sich engagiert und glaubhaft für politische Ziele einsetzen, die aus christlicher Sicht unverzichtbar sind. Verantwor-tungsvolles Handeln ist aber nicht nur eine Anforderung an Politiker, sondern auch an jeden Einzelnen. Deshalb bitten wir Sie, Ihre Verantwortung wahrzunehmen und sich an der Bun-destagswahl zu beteiligen, aber auch immer wieder für unser Gemeinwesen und die politisch Verantwortlichen zu beten. |
Würzburg, den 26. August 2013 Für das Erzbistum Köln gez. + Joachim Kardinal Meisner |